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Kommunikation für Transformation: Die Kunst der motivierenden Gesprächsführung


Motivierende Gesprächsführung (Motivational Interviewing, MI) ist eine spezielle Gesprächstechnik, die entwickelt wurde, um Menschen bei der Veränderung ihres Verhaltens zu unterstützen. Sie basiert auf einer bestimmten Haltung des Zuhörens, Einfühlens und der Zusammenarbeit, um intrinsische Motivation und Veränderungsbereitschaft beim Klienten zu fördern. MI wird oft in Bereichen wie evidenzbasiertem Coaching, der Gesundheitsförderung, Psychotherapie, Suchtberatung und amderen Bereichen, in denen eine Verhaltensänderung förderlich wäre, eingesetzt. Was sollte man über MI wissen? Hier ein Überblick:


Alltagsgespräche laufen oft Gefahr in eine Situation schneller Ratschläge zu führen, was bei Ratsuchenden gelegentlich zu Verteidigungsverhalten und Gegenwehr hervorruft. Das ist natürlich im Hinblick auf Veränderungswünsche ungünstig. Tatsächlich geht es aber nach der Devise "Menschen wollen sich verändern, sie wollen aber nicht verändert werden." Es geht also darum, die eigene, vorhandene Motivation zu Veränderungen in manchmal schwierigen Situationen zu stärken.

Es gibt drei grundlegende Kommunikationsstile, die je nach Zusammenhang und besonderer Situation in der motivierenden Gesprächsführung eingesetzt werden:


1. Direktiver (lenkender) Stil: Der direkte Kommunikationsstil wird verwendet, um klare Anweisungen, Ratschläge oder Lösungen zu geben. Der Therapeut oder Berater übernimmt eine führende Rolle und legt fest, was getan werden sollte. Dieser Stil kann in bestimmten Situationen effektiv sein, wenn klare Anleitung erforderlich ist. Allerdings kann er die Autonomie der Klient*innen einschränken und die Motivation verringern, da der Fokus eher auf externen Vorgaben als auf innerer Veränderung liegt.


2. Nicht-direktiver (folgender) Stil: Der nicht-direktive Kommunikationsstil legt den Schwerpunkt auf die Autonomie und Selbstbestimmung des Klienten. Der Therapeut oder Berater stellt offene Fragen und hört aktiv zu, ohne Lösungen oder Ratschläge anzubieten. Der Klient wird ermutigt, seine eigenen Gedanken, Gefühle und Lösungen zu entdecken. Dieser Stil fördert die Eigenverantwortung und Selbstreflexion des Klienten, kann jedoch manchmal langwierig sein und erfordert eine gute Kommunikationsfähigkeit, um den Klienten effektiv zu unterstützen.


3. Kollaborativer (geleiteter) Stil: Der kollaborative Kommunikationsstil in der motivierenden Gesprächsführung betont die Zusammenarbeit und Partnerschaft zwischen dem Therapeuten/Berater und dem Klienten. Der Fokus liegt auf gegenseitigem Austausch und gemeinsamer Entscheidungsfindung. Der Therapeut oder Berater zeigt Empathie, stellt offene Fragen und unterstützt den Klienten dabei, seine eigenen Ziele und Lösungen zu identifizieren. Dieser Stil fördert die intrinsische Motivation des Klienten und schafft ein Gefühl von Mitbestimmung und Verantwortung für den Veränderungsprozess.


Es ist wichtig noch einmal anzumerken, dass der Kommunikationsstil in der motivierenden Gesprächsführung situationsabhängig ist und je nach den Bedürfnissen und Voraussetzungen des Klienten variieren kann. Eine effektive Anwendung erfordert ein sensibles und flexibles Vorgehen, um eine unterstützende und motivationsfördernde Atmosphäre zu schaffen.


Die Möglichkeit eines direktiveren Vorgehens setzt auf seiten von MI-Praktizierenden (Coaches, Therapeuten, Ärzt*innen) eine besondere Haltung voraus, bestehend aus vier grundlegenden Prinzipien:

  1. Partnerschaftlichkeit/ Kooperation (Collaboration): MI basiert auf einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Coach/ Berater*in und den Klient*innen. Es wird davon ausgegangen, dass Klient*innen die Expertise für ihr eigenes Leben haben, und die Zusammenarbeit zielt darauf ab, gemeinsam Lösungen zu finden.

  2. Akzeptanz (Acceptance): In MI wird Klient*innen bedingungslose positive Akzeptanz (bedingungslos positive Wertschätzung, Empathie, Unterstützung der Autonomie und Würdigung(z.B, von Stärken und Anstrengungen)) entgegengebracht. Unabhängig von seinem Verhalten oder seinen Entscheidungen werden sie respektiert und wertgeschätzt.

  3. Mitgefühl (Compassion): Mitgefühl ist ein zentrales Element in MI. Der Therapeut/Berater zeigt Empathie und einfühlsames Verständnis für die Erfahrungen, Gedanken und Gefühle des Klienten, ohne zu urteilen.

  4. Hervorrufen (Evocation): Evokation bedeutet, dass der Therapeut/Berater die intrinsische Motivation des Klienten hervorruft und verstärkt, indem er Raum für Selbstreflexion, Selbsterkenntnis und die Entdeckung von Gründen und Werten des Klienten schafft.

MI folgt einem Vier-Stufen-Modell:

  1. Beziehungsaufbau: In dieser Phase geht es darum, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen, den Klienten kennenzulernen und seine Gründe für das Gespräch zu erfahren.

  2. Fokussierung: Hier wird der Fokus auf die Veränderungsziele des Klienten gelegt. Gemeinsam werden die Ziele konkretisiert und die Motivation zur Veränderung erkundet.

  3. Evokation: In dieser Phase wird die Motivation und Veränderungsbereitschaft des Klienten geweckt oder verstärkt. Es werden die Vorteile der Veränderung herausgestellt und mögliche Hindernisse und Widerstände besprochen.

  4. Planung: Die letzte Phase besteht darin, gemeinsam mit dem Klienten einen realistischen Plan zu entwickeln, um die Ziele zu erreichen. Dies beinhaltet die Festlegung konkreter Schritte, die Überwindung potenzieller Hindernisse und die Stärkung des Klienten, um selbstwirksam zu handeln.

Die zentralen Elemente von MI werden häufig mit dem Akronym "OARS" zusammengefasst - also quasi wie Ruder/ Riemen/ Skulls* (engl. = oars) die das Gespräch vorwärtsbringen.

  1. Offene Fragen (Open Questions): Offene Fragen sind Fragen, die dazu ermutigen, ausführliche Antworten zu geben. Sie ermöglichen es der Person, ihre Gedanken, Gefühle und Perspektiven ausführlich zu äußern. Reflexionen werden angeregt. Jetzt nicht zu früh weiterfragen! Ausreden lassen, ggf. nachfragen.

  2. Verstärkung (Affirmations): Verstärkung beinhaltet die positive Wertschätzung, Bestärkung und Betonung der positiven Aspekte, Anstrengungen und Erfolge der Person. Dadurch wird das Vertrauen und das Selbstvertrauen gestärkt und die Grundlage einer gestärkten Veränderungsbereitschaft gelegt.

  3. Reflektierendes Zuhören (Reflective Listening): Reflektierendes Zuhören beinhaltet das aktive Zuhören und die anschließende Wiedergabe oder Wiederholung dessen, was die Person gesagt hat, ggf. anders formuliert oder in eigenen Worten eventuell mit Vermutungen darüber, was gemeint war. Es zeigt, dass man die Äußerungen verstanden hat und ermöglicht der Person, sich selbst besser zu verstehen. Oder es zeigt, dass es noch nicht ganz klar geworden ist und regt zu weiteren Reflexionen an.

  4. Zusammenfassen (Summarize): Beim Zusammenfassen werden die wichtigsten Punkte, Gedanken und Gefühle der Person in kompakter Form wiedergegeben. Es hilft, Klarheit zu schaffen und den Gesprächsverlauf zu strukturieren; und im Grunde funktioniert es wie beim reflektierenden Zuhören, nur umfassender und ausführlicher.

Diese vier Elemente (Offene Fragen, Verstärkung, Reflektierendes Zuhören, Zusammenfassen) sind grundlegende Techniken in der motivierenden Gesprächsführung. Sie tragen dazu bei, eine unterstützende Gesprächsatmosphäre zu schaffen, die Reflexion und intrinsische Motivation zur Veränderung fördert. Die Vorgehensweisen in MI umfassen auch weitere Strategien, wie beispielsweise die Erkundung von Veränderungsbereitschaft, das Auslösen von Selbstwidersprüchen, das Herausarbeiten von Gründen für Veränderungen und das Entwickeln von konkreten Zielen und Plänen.


Die Ziele und Absichten der motivierenden Gesprächsführung umfassen also:

  1. Motivation wecken: MI zielt darauf ab, die intrinsische Motivation des Klienten zu stärken, indem er seine persönlichen Werte, Ziele und Ambivalenzen erkundet.

  2. Veränderungsbereitschaft fördern: Durch empathisches Zuhören und Zusammenarbeit unterstützt MI den Klienten dabei, eine Veränderungsbereitschaft zu entwickeln und einen Grundstein für positive Veränderungen zu legen.

  3. Autonomie respektieren: MI betont die Autonomie des Klienten und ermutigt ihn, eigene Entscheidungen zu treffen. Der Klient wird dabei unterstützt, selbstbestimmt seine eigenen Lösungen zu finden.

  4. Ambivalenz angehen: MI erkennt an, dass Veränderung oft von ambivalenten Gefühlen begleitet wird. Es ermöglicht dem Klienten, seine Zweifel und Bedenken auszudrücken und unterstützt ihn dabei, sie zu klären.

Welche Vorteile kann man für die motivierende Gesprächsführung feststellen? Welche Nachteile gebt es?


Pro und Contra der motivierenden Gesprächsführung:

Pro:

  • Betont die Zusammenarbeit und Partnerschaft zwischen Klient und Therapeut/Berater.

  • Fördert die intrinsische Motivation und Veränderungsbereitschaft des Klienten.

  • Respektiert die Autonomie des Klienten und stärkt seine Selbstwirksamkeit.

  • Ermöglicht eine tiefere Exploration der Gründe und Werte des Klienten.

  • Kann in verschiedenen Bereichen wie Gesundheit, Sucht, Ernährung und Verhaltensänderung wirksam eingesetzt werden.

  • Kann im Grunde sofort geübt werden, sobald man die ersten Prinzipien aufgenommen hat und die ersten Techniken verstanden hat.

Contra:

  • Erfordert eine gewisse Übung und Erfahrung, um die MI-Techniken effektiv anzuwenden.

  • Kann möglicherweise länger dauern als andere direktere Ansätze.

  • Nicht für alle Klienten oder Situationen geeignet.

  • Erfordert eine aktive Mitwirkung des Klienten und kann bei fehlender Motivation weniger wirksam sein.

  • Beim Erlernen von MI wird man praktisch nie fertig. Man kann endlos praktizieren und sich immer weiter verbessern. (Ist das ein Nachteil?)

Es ist wichtig zu beachten, dass motivierende Gesprächsführung ein spezifischer Kommunikationsstil ist und nicht immer die geeignete Methode für alle Situationen oder Coaching-/Therapieansätze sein kann. Es sollte immer im Kontext des individuellen Bedarfs und der Ziele des Klienten angewendet werden. Angezeigt ist das Verfahren sicher immer dann, wenn ein Veränderungsziel als wichtig bewertet wird, aber noch ein geringes Maß an Zuversicht vorliegt, dass die Veränderung auch gelingen kann - also bei Klient*innen Ambivalenz vorherrscht.


* Anm.: Nur um niemandem, der schon mal etwas vom Rudern, Pullen, Segeln gehört hat, auf den Schlips zu treten: Ruder = fachsprachlich das "Steuerruder" zum steuern, Reimen zum beidhändigen und einseitigen und Skulls zum einhändigen und beidseitigen rudern. ;-)


Literatur: William R. Miller, Stephen Rollnick: Motivierende Gesprächsführung. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2015. 4. Vollständige Übersetzung der 3. amerikanischen Auflage. (Anleitung, Manual, Nachschlagewerk mit umfangreichen Angaben zur wissenschaftlichen Fundierung dieser Methodik)

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