
SIND SIE DENN AUCH SYSTEMISCH?
Das Adjektiv „systemisch“ scheint es geschafft zu haben. Unter all den vielen schönen denkbaren Alternativen hat es dieses Wort erreicht, dass es in manchen Tätigkeitsfeldern inzwischen anscheinend an alles angehängt wird (bzw. allem vorangestellt wird), was einer Bedeutungserhöhung bedarf. Das ist schade, da man dadurch ganz allmählich nicht mehr trennscharf ausmachen kann, was „systemisch“ eigentlich bedeuten soll.
Dabei liegt es auf der Hand. Einem BWLer wie mir zum Beispiel begegnet der Begriff in der Regel, sobald man sich mit dem Werk von Hans Ulrich befasst, dem Schweitzer Wirtschaftswissenschaftler – Professor an der Hochschule St. Gallen – und Vater des St. Galler Management-Modells. Ulrich stützt seine systemorientierte Managementlehre auf Grundlagen der Systemtheorie und Kybernetik – also einem ursprünglich eher naturwissenschaftlich und technisch orientierten Theoriefeld – und bezieht allgemeingültige Systemmerkmale (wie Ganzheit, Vernetztheit, Umwelt, Komplexität, Ordnung, Lenkung, Entwicklung) auf soziale Systeme des Menschen wie etwa Unternehmen.
„Unter einem System verstehen wir eine geordnete Gesamtheit von Elementen, zwischen denen irgendwelche Beziehungen bestehen oder hergestellt werden können.“
– Ulrich, H. (1968). Die Unternehmung als produktives soziales System. Bern: Haupt.) –
Prima, und bereits in der Ausbildung in den frühen neunziger Jahren des verklungenen Jahrhunderts durften wir BWLer uns mit Visualisierungssoftware amüsieren, mit deren Hilfe komplexe Systemzusammenhänge dargestellt beziehungsweise simuliert werden konnten. Dies wäre nicht möglich gewesen ohne die vorherige Leistung von Leuten wie Ulrich.
Als weiterer bedeutender Beitrag Ulrichs gilt etwa die Entwicklung der systemischen Problemlösungsmethodik. Hans Ulrich und Gilbert Probst beschreiben sie 1988 in sechs Schritten, deren Einfluss auf später bekanntgewordene
Techniken unverkennbar ist:
1) Bestimmen der Ziele und Modellieren der Problemsituation
2) Analysieren der Wirkungsverläufe
3) Erfassen und Interpretation der zukünftigen Veränderungsmöglichkeiten der Situation
4) Abklären der Lenkungsmöglichkeiten
5) Planen der Strategien und Maßnahmen
6) Verwirklichen der Problemlösung
Wer erkennt in dieser Struktur also nicht den Einfluss auf so viele Verfahren beispielweise im Projektmanagement oder in späteren Problemlösungsmethoden von 8D bis Six Sigma DMAIC. Auch der klassische, modellhafte Verlauf eines Coachings aktuellen Zuschnitts hat zweifelsohne eine ähnliche Phasenstruktur.